Dating-Coach

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Dating-Coach

      Immer wieder wechselt Benedict Whites Blick zwischen der auf seinem Smartphone angezeigten Uhrzeit und der gläsernen Eingangstür, durch die immer mal wieder kleinere und größere Grüppchen von Menschen verschiedenster Couleur schreiten und sich gutgelaunt an einen der leerstehenden Tische setzen, wo sie anscheinend ihre Abendgestaltung beginnen wollen. Die Uhr indiziert, dass es 5 nach 8 ist – Behind the Blood ist also schon gestartet und dementsprechend mehrten sich in der letzten halben Stunde auch die Anrufe und WhatsApp-Nachrichten der restlichen RoD-Mitglieder, von denen er keine Einzige beantwortete. Stattdessen sitzt er alleine in einem beliebigen Café in Berlin-Charlottenburg, das diesen so typisch Berlinerischen Spagat zwischen Bodenständigkeit und Schickeria meistert, und wartet darauf, dass Alexis Bellamy, Ashleys kleine Schwester, auftaucht. In Anbetracht der Tatsache, dass er deswegen seine Kameraden von der Religion im Stich lässt und morgen den wahrscheinlich furchterregendsten Tag seines Lebens durchmachen wird, eigentlich eine vollkommen wahnwitzige Idee. Dann wiederum ist der Begriff „wahnwitzig“ in seinem speziellen Fall wohl ohnehin relativer Natur.

      Der neuerliche Willkommensgruß des Barkeepers an den eintretenden Neuankömmling löst das riesige Knäuel von Ängsten und Sorgen in seinem Kopf für einen kurzen Moment, als er sieht, an wen sich dieser Gruß gerichtet hat. Es benötigt keine Sekunde bis Benedict Alexis erkennt, er hat schließlich schon genug Bilder von ihr und mit ihr gesehen, wobei sich sein gewonnener Eindruck auch in der Wirklichkeit bestätigt – Alexis wirkt wie die unvollkommene Version von Ashley. Noch schmalere Figur, etwas dunklerer Hautton, dafür hellere Haare. Und kein Lächeln, das ihn so in den Bann ziehen würde, wie das seiner Angebeteten. Dennoch versucht er so freundlich und aufgeschlossen wie möglich aufzutreten. Nachdem sie ihn vor wenigen Tagen wegen seines forschen Vorstoßes auf Facebook blockte, will er jetzt nicht noch eigenartiger wirken, als er sich ohnehin bei diesem Treffen fühlt.

      Allerdings hat nicht nur der Engländer in diesem Augenblick Schwierigkeiten damit, die Fassung zu bewahren, denn spätestens als der amerikanische High School-Senior die Eingangstür durchschritten und erkannt hat, dass Barker4Life_1996 und jener Benedict White aus der Google-Bildersuche tatsächlich die gleiche Person sind, merkt auch sie, wie die Nervosität in ihr steigt. Nicht nur, weil das hier ihr erstes „Internetdate“ überhaupt ist, sondern auch, weil sie just in diesem Moment daran denken muss, mit welcher krankhaften Hingabe dieser Benedict sämtliche Aktivitäten ihrer älteren Schwester studiert hat. Dabei macht er rein vom Auftreten gerade einen eher harmlosen, ja sogar schüchternen Eindruck. Das darf jetzt aber keine Rolle spielen. Er hat ein Problem, das sie ausnutzen muss, um das Ihre zu lösen. Also setzt sie ihr Gameface auf, weitet ihre Augen, lässt den Mund halb offen, die Mundwinkel leicht nach oben verzogen.

      Alexis Bellamy: „Wow! Du bist es ja wirklich! Du bist Benedict White.“

      Ihre Überraschung betont sie in einer derart überschwänglichen Art und Weise, als wäre sie einem Filmstar über den Weg gelaufen und ruft mit dieser Art der Eröffnung Verblüffung auf dem Gesicht des Sin Eaters hervor. Als Alexis zu ihm aufschließt, ist Benedict bereits von seinem Platz aufgestanden, nimmt die sich ihm entgegenstreckende, feingliederige Hand entgegen und wirkt dabei gedanklich verloren. Hatte Ashley nicht erwähnt, dass ihre kleine Schwester keinerlei Ahnung vom Wrestling hat?

      Benedict White: „Ja, ähm… hi. Freut mich, dass du‘s geschafft hast.“

      Die jüngere Bellamy zögert den sanften Händedruck unnötig lange heraus, hört dabei nicht auf, ihn anzustrahlen, was das Befremden in dem Vark-Sprössling nur noch weiter wachsen lässt. Das bemerkt auch Alexis, die seine Hand drei Sekunden zu spät los- und ihre Augen daraufhin unschuldig nach oben flüchten lässt. So als wäre ihr das auf einmal furchtbar peinlich. Dann setzen sie sich.

      Alexis Bellamy: „Entschuldige bitte. Ich bin immer noch total baff, dass Barker4Life… ich meine, dass du wirklich du bist.“

      Benedict schaut die kleine Schwester von Ashley Stanton verständnislos an, kann sich im darauffolgenden Moment ein sardonisches Hochzucken seines rechten Mundwinkels allerdings nicht verkneifen. Ohne dass sie es hätte ahnen können, entbehrte ihre Aussage nicht einer gewissen Ironie.

      Benedict White: „Wer hätte ich denn sonst sein sollen?“

      Alexis Bellamy: „Na ja, als du mich am Mittwoch auf Facebook angeschrieben hast, dachte ich zuerst, du wärst…“

      Mitten im Satz stockt sie auf einmal, dreht sich dann zu beiden Seiten um, als müsse sie kurz prüfen, ob ihnen jemand zuhört, um sich mit ihrem Oberkörper sehr weit zu dem jungen Engländer hinüberzulehnen und mit ihrer rechten Hand am Mund zu suggerieren, dass sie ihm nun etwas Geheimnisvolles zuflüstern müsse. Benedict lauscht.

      Alexis Bellamy: „Ich dachte, du wärst ein Perverser.“

      Die Teenagerin schaut ihn mit einer entschuldigenden Miene an. Der junge Mann mit dem falschen Namen muss bei dieser wenig schmeichelhaften Einschätzung hingegen leider einräumen, dass das Sammeln jeglicher Infobrocken über Ashleys Leben – selbst wenn diese noch so belanglos waren – inzwischen wirklich etwas Krankhaftes an sich hatte. Besonders in den Tagen seit Vendetta 115 hat sich das zu einer Form des Eskapismus entwickelt, durch die es ihm leichter fiel, mit einer Realität zurechtzukommen, in der seine große Schwester auf der Intensivstation lag und in der er seine Identität würde aufgeben müssen. Dennoch versucht er das, was die kleine Schwester von Ashley ihm da gerade vor die Füße geworfen hat, seinerseits mit einem erzwungenen Lächeln zu erwidern.

      Benedict White: „Tut mir leid… Ich wollte dir wirklich keine Angst machen.“

      Für eine kurze Episode werden die beiden von einer Kellnerin unterbrochen, bei der sie ihre Getränke bestellen. Mineralwasser für Benedict – Cola für Alexis. Als das abgehandelt ist, ergreift einmal mehr der High School-Senior die Initiative, stützt ihre Ellenbogen auf der Tischplatte und wiederum ihr Kinn auf ihren Handflächen ab. Zeit, den Stein ins Rollen zu bringen.

      Alexis Bellamy: „Also. Warum treffen wir uns ausgerechnet hier? Ich dachte, wir wollten uns in der Mall des Phoenix Centers treffen?“

      Das wollten sie in der Tat tun. Allerdings war das bevor Ash ihm von dem Streit mit ihrer Schwester erzählt hat, als sie heute Nachmittag gemeinsam über den Jahrmarkt auf dem PCWA-Gelände geschlendert sind. Und bevor er sich entschloss, die restliche Religion of Death lieber zu meiden.

      Benedict White: „Ich weiß… Aber ich fand, dass es in einem Café irgendwie gemütlicher ist… Und außerdem mag ich es hier…“

      Eine glatte Lüge. Viel lieber wäre er jetzt bei Behind the Blood. Viel lieber wäre er jetzt bei der Religion. Und bei Ash. Aber das geht nicht. Wie soll er ihnen allen unter die Augen treten, wenn er der Welt am nächsten Tag das offenbart, was er ihr beim Brawlin‘ Rumble offenbaren will? Offenbaren muss…

      Alexis Bellamy: „Ja, ich find es hier ebenfalls total schön hier. Aber sag maaal…“

      Sie lässt den Satz ins Leere, beugt sich einmal mehr leicht zu ihm vor und legt ihre Hände auf die Seine.

      Alexis Bellamy: „Hast du an ihn gedacht?“

      Benedict White: „Ähm…“

      Langsam zieht der junge Engländer seine Hand zurück, versucht diesen peinlichen Moment wegzulächeln, was bei seinen von Fassungslosigkeit geprägten Gesichtszügen grotesk wirkt. Abermals bedenkt die jüngere Bellamy-Schwester ihn mit einem vieldeutigen Blick, der mehr Panik, als alles andere in ihm hervorruft. Warum ist er nur so schlecht in diesen Dingen? Er merkt, wie sich unter ihm langsam wieder das bodenlose Loch der Unbeholfenheit auftut, in das er jedes Mal tappt, wenn er versucht, sich mit Frauen zu unterhalten.

      Benedict White: „D-du meinst den Backstage-Pass, den ich dir eigentlich versprochen hatte, o-oder?”

      Alexis nickt zustimmend. Das war die vereinbarte Gegenleistung dafür, dass sie ihm helfen würde, Ashleys Herz zu erobern, obwohl er langsam beginnt, daran zu zweifeln, dass diese Unternehmung wirklich von Erfolg gekrönt ist. Nicht nur wegen des ausgebrochenen Streits zwischen den beiden Schwestern, sondern vor allen Dingen, weil er immer noch er ist. Oder besser gesagt, weil er es nicht ist.

      Außerdem erschließt sich ihm noch immer nicht so ganz, wieso ihr Interesse am Wrestling plötzlich so groß geworden ist.

      Benedict White: „Auch wenn ich ihn dir eigentlich versprochen habe, halte ich das momentan für eine nicht so gute Idee… Ähm… Nicht weil ich dich nicht dabei haben will…“

      Alexis Bellamy: „…sondern?“

      Es bestätigt sich einmal mehr, dass sie wirklich keine Ahnung hat, was im Hinblick auf das, was gerade in der PCWA passiert, nicht unbedingt das Allerschlechteste ist. Das Zerwürfnis der beiden Schwestern war da eher noch das kleinere Problem. Ein viel Größeres waren die anderen Akteure in der Phönixliga – skrupellose Gestalten wie Nicotine & Bacteria, Robert… oder Azrael Rage. Zwangsläufig kommen bei diesem Gedanken auch wieder die beschämenden Erinnerungen an den Imperial Impact 10 hoch, als er Robert dabei half, Seraya Van Crane zu entführen. Wenn wegen dieser Leute Alexis etwas zustoßen würde und herauskäme, dass sie wegen ihm beim Rumble anwesend war, würde Ash ihm das niemals vergeben. Aber sollte er ihr das auch genauso sagen? Würde er damit nicht dafür sorgen, dass Alex und Ash sich noch weiter voneinander entfernen?

      Benedict White: „Nun, weil…“

      Gott sei Dank! Die Kellnerin ist wieder da, bringt die bestellten Getränke vorbei und sorgt mit ihrer Anwesenheit kurzzeitig für Ablenkung. Ohne Umschweife gönnt sich der junge Brite einen ausgiebigen Schluck von seinem Mineralwasser, an dem er aber in Wirklichkeit nur nippt, um weiter Zeit für den großen Geistesblitz zu schinden. Die Bürde, jetzt eine logische Erklärung aus dem Ärmel zu schütteln, wird ihm jedoch glücklicherweise von seinem Gegenüber abgenommen.

      Alexis Bellamy: „Gib’s zu. Es ist wegen Ash, oder? Sie will nicht, dass ich morgen dabei bin, weil wir uns gestritten haben.“

      Ben kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Das ist in der Tat wohl die naheliegendste Erklärung, auf die er auch selbst hätte kommen können. Aber so ist das mit ihm und dem weiblichen Geschlecht. In seinem Kopf baut sich eine Blockade auf, die keinen einzigen sinnvollen Gedanken mehr zulässt, sobald sie einmal steht.

      Benedict White: „Ja…“

      Alexis Bellamy: „Aww! Wie süß das ist, dass du dir über sowas Gedanken machst. Du bist so ein Gentleman.“

      Schon wieder sucht sie Körperkontakt, streichelt ihm über den linken Oberarm, schaut ihn dabei mit diesem verträumten Blick an und schafft es so, ihn noch weiter aus dem Konzept zu bringen. Wegen eines Mädchens! Das noch zur Schule geht! Und er sitzt da wie versteinert.

      Alexis Bellamy: „Aber du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, dass das mit dir und Ash klappt. Ich weiß ja, wie wichtig dieser Event morgen für euch ist. Darum verspreche ich dir jetzt auch hoch und heilig, dass ich mich komplett raushalte. Ich werde für Ash lediglich ein Schatten sein und nur dann eingreifen, wenn wirklich gar nichts mehr geht und du meine Hilfe benötigst.“

      Sie nimmt einen Schluck von ihrer Cola und muss dabei innerlich selbst über den Bullshit lachen, den sie ihm hier auftischt. Dating-Coach für einen Sozialphobiker zu spielen, war sicherlich eine der letzten Sachen, die sie im Sinn hatte, als sie gestern den Plan formulierte, Ashleys Karriere zu sabotieren. Aber ihre Schwester wollte es ja nicht anders und sie hatte sich geschworen, es durchzuziehen. Koste es, was es wolle.

      Alexis Bellamy: „Davon abgesehen würde es dir ohnehin in die Karten spielen, wenn Ash sehen würde, dass ihr kleines Boy Toy ausgerechnet ihre kleine Schwester zu eurer Rumble-Veranstaltung eingeladen hat. Sie würde regelrecht ausflippen vor Eifersucht.“

      Boy Toy? Eifersucht? Wegen ihm?

      Bitte, WAS?

      Alexis liest den Unglauben aus der fassungslosen Miene ihres Gegenübers, setzt selbst einen überraschten Gesichtsausdruck auf, um den verliebten, jungen Mann noch weiter zu verunsichern. Sie hat ihn am Haken.

      Alexis Bellamy: „Jetzt sag bloß, du wusstest nicht, wie sie über dich denkt! Das ist doch wohl total offensichtlich! Allein in den letzten Tagen hat sie von nichts anderem als dir geschwärmt.“

      Benedict White: „I-ist das dein Ernst?“

      Alexis Bellamy: „Benedict. Welchen Grund hätte ich, dich zu belügen? Du kannst mir das ruhig glauben – sie mag dich. Sehr sogar. Aber du bist der, der den ersten Schritt machen muss, das wird sie nicht für dich übernehmen. So funktioniert das nun mal bei uns Mädels.“

      Ein bisschen tut es ihr schon leid, als sie in seinen leuchtenden Augen die Hoffnung aufkeimen sieht, denn bis auf sein ausgesprochen verschlossenes Wesen, macht er im Grunde genommen einen vernünftigen Eindruck und das ist mehr, als sie über ihren eigenen Ex-Freund sagen kann. In diesem speziellen Fall heiligt der Zweck allerdings die Mittel. Nun muss sie bloß noch sicherstellen, dass er ihr liebes Schwesterherz auch wirklich mit dieser Situation konfrontiert. Und das geht am besten, wenn sie vor Ort ist.

      Alexis Bellamy: „Also, komm schon. Du musst das nicht alleine durchstehen, vor allem, weil du morgen Abend sicher noch ganz viele andere Sachen hast, um die du dich kümmern musst. Ich gebe dir gerne moralische Unterstützung, du musst es nur wollen. Ich werde auch garantiert keinen Ärger machen und niemandem erzählen, dass ich den Backstage-Pass von dir habe. Versprochen.“

      Benedict ringt sichtlich mit sich und dieser Entscheidung. Es ist immer noch vollkommen absurd, dass er mit Ashleys kleiner Schwester in einem Berliner Café sitzt und sich mit ihr über diese Dinge unterhält. Er sollte sich lieber ausschließlich auf den Rumble konzentrieren und das mit Ash vergessen…

      Was ist aber, wenn es stimmt, was Alex sagt? Was ist, wenn Ash auch mehr für ihn empfindet? Die Art und Weise, wie sie ihn immer anlächelte, konnte doch kein Zufall sein. Allein die Tatsache, dass sie ihn auf seinem Jahrmarktbummel begleitete, musste das doch bestätigen. Sie war da, als sich sonst niemand um ihn gekümmert hat. Und was hatte er im Angesicht der unlösbaren Aufgabe, den Rumble zu gewinnen, schon sonst zu verlieren?

      Benedict White: „In Ordnung… Ich besorge dir für morgen einen Backstage-Pass.”

      Alexis Bellamy: „Was, ernsthaft?“

      Ein mutlos gerauntes „Uh-huh“ bestätigt es erneut und wird prompt mit einem blitzartigen Kuss auf die Wange belohnt. Wieder einmal weiß Benedict White nicht, was er dieser offensiven Flirterei entgegnen soll.

      Alexis Bellamy: „Du bist der Beste. Und ich glaube fest daran, dass du das morgen schaffen wirst. Es wird alles gut werden, Ben...“

      Sie hält inne, als sie bemerkt, wie der Ausdruck in seinem Gesicht sich plötzlich wandelt, als sie den letzten Satz ausgesprochen hat. Er sieht traurig aus.

      Alexis Bellamy: „Hab ich was Falsches gesagt? Du schaust auf einmal so komisch.“

      Aber Benedict schüttelt nur den Kopf. Zwingt seine Mundwinkel nach oben.

      Benedict White: „Es ist nichts. Alles wird gut.“

      Nichts ist gut.
      Gar nichts ist gut.